Tax Compliance-System – Pflicht oder Kür?

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Tax Compliance-Systeme haben zwei Vorteile: Sie schreiben im Unternehmen Best Practices für steuerrelevante Tätigkeiten fest. Und sie weisen gegenüber dem Finanzamt nach, dass der Unternehmer seine Sorgfaltspflicht erfüllt.

Mit Tax Compliance-System auf der sicheren Seite

Wer arbeitet, macht Fehler. Das kann auch bei Steuererklärungen passieren. Und wenn man sich zu seinen eigenen Gunsten verrechnet, denkt das Finanzamt direkt an Steuerhinterziehung. Es sei denn, man hat ein Tax Compliance-System.

Denn wenn ein „innerbetriebliches Kontrollsystem“ für Steuern vorliegt, wird das zugunsten des Steuerpflichtigen gewertet. Das Finanzamt wird ihm dann keinen Vorsatz und auch keine Fahrlässigkeit unterstellen können. So steht es im Anwendungserlass zu § 153 AO, den das Bundesministerium der Finanzen (BMF) am 23. Mai 2016 herausgegeben hat.

Rechtsgrundlage

In seinem Anwendungserlass zu § 153 AO erwähnt das BMF den Begriff Tax Compliance-System überhaupt nicht. Inhaltlich geht es im Erlass um die Frage, wodurch sich eine Berichtigung einer Steuererklärung (§ 153 AO) von einer Selbstanzeige (§ 371 AO, § 378 Absatz 3 AO) unterscheidet.

Die folgenden Erläuterungen beziehen sich unmittelbar auf das Schreiben des BMF und nicht auf die diversen Interpretationen, die im Internet kursieren.

Berichtigung einer Steuererklärung

Wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich erkennt, dass eine von ihm abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist, muss er dies anzeigen und die Erklärung berichtigen – allerdings nur, wenn es durch den Fehler zu einer Steuerverkürzung kommt. Die Logik des Finanzamts: Zuviel Steuer bezahlen geht in Ordnung, zu wenig bezahlen geht gar nicht.

Das BMF-Schreiben enthält einige Präzisierungen zu diesen Sachverhalten. Die wichtigste davon ist, dass ein Fehler des Steuerpflichtigen nur dann straf- oder bußgeldrechtlich vorwerfbar ist, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig begangen wurde (Rz. 2.5).

In Rz. 2.6 wird es dann interessant. Hier heißt es: „Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann […]“.

Genau dies ist die Vorschrift, auf der alle einschlägigen Empfehlungen für Tax Compliance-Systeme beruhen.

Alle weiteren Einlassungen, die im BMF-Schreiben unter dem Punkt „Berichtigung“ folgen, betreffen Fragen der Ausgestaltung. Diese umfassen:

  • Umfang der Anzeige- und Benachrichtigungspflicht
  • Zur Anzeige und Berichtigung verpflichtete Personen
  • Zeitpunkt der Anzeige und Berichtigung

Selbstanzeige

Eine Selbstanzeige kommt in Betracht, wenn der Steuerpflichtige vorsätzlich oder bedingt vorsätzlich eine unrechtmäßige Steuerverkürzung bewirkt.

Was ist bedingter Vorsatz?

Ein bedingter Vorsatz liegt vor, „wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung anstrebt oder für sicher hält.“ (Rz. 2.6) Das ist der Fall, wenn der Steuerpflichtige weiß oder erfährt, dass seine Erklärung unrichtig ist und eine Steuerverkürzung bewirken könnte und es trotzdem darauf ankommen lässt. Das heißt, er zeigt nichts an, gibt keine Berichtigung ab und hofft, dass das Finanzamt nichts merkt. Dies wäre dann eine „Steuerhinterziehung durch Unterlassen“ (Rz. 5.3).

Was ist Leichtfertigkeit?

Eine Steuerhinterziehung kann nicht nur vorsätzlich, sondern auch durch Leichtfertigkeit begangen werden (§ 378 AO). Die Rechtsprechung setzt „leichtfertig“ mit „grob fahrlässig“ gleich und definiert dies wie folgt:

„Ein derartiges Verschulden liegt danach vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den sich aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen (BFH-Urteil vom 17. November 2011 IV R 2/09, BFH/NV 2012, 1309).“ Dies ist nachzulesen im BFH-Beschluss vom 18. 11. 2013 – X B 82/12, Nr. [8].

Muss ich ein Tax Compliance-System haben?

Nein, ein solches System ist nicht unbedingt vorgeschrieben.

Es kann allerdings sehr nützlich sein, um Schaden abzuwenden. Unternehmer wissen, wie unangenehm das Finanzamt werden kann, wenn es einen Anlass zu der Annahme findet, dass es vielleicht übervorteilt werden könnte. Wenn Sie in einem solchen Fall ein Tax Compliance-System vorweisen können, kann man Ihnen schon einmal nicht mehr Fahrlässigkeit oder Vorsatz unterstellen.

Ich fand im Internet unter Anderem einen Artikel mit dem Titel „Tax Compliance wird Pflicht“. Dies ist in mehrfacher Hinsicht Unsinn: Erstens bedeutet Tax Compliance „Steuerehrlichkeit“ und diese IST bereits Pflicht. Zweitens, unter der Annahme, dass der Autor eigentlich „Tax Compliance-System“ sagen wollte, muss konstatiert werden: Nein, eine Pflicht zur Implementierung besteht ausdrücklich NICHT. Lassen Sie sich also nicht verwirren.

Steuerpflichtigen-Rating bei der Finanzverwaltung

Wenn Steuerpflichtige gegen die Tax Compliance verstoßen, laufen sie eher Gefahr, eine Betriebsprüfung ins Haus zu bekommen. Nach Auffassung von Steuerberaterin wird die Finanzverwaltung in Zukunft immer strenger und systematischer gegen Unternehmen vorgehen, die ihre steuerlichen Pflichten nicht ernst genug nehmen. Jeder Verstoß wird in der Steuerakte des Betreffenden festgehalten und führt letztlich zu einer Beurteilung – einem Rating. Diese Beurteilung entscheidet darüber, ob der Steuerpflichtige als zuverlässig oder unzuverlässig gilt. Bei unzuverlässigen Kandidaten schaut die Finanzverwaltung genauer hin.

Schon allein aus diesem Grunde kann man Unternehmen nur dazu raten, ein internes Kontrollsystem im Sinne des oben zitierten BMF-Schreibens zu etablieren.

Was ist ein Tax Compliance-System?

Ein Tax Compliance-System ist ein Bündel von Maßnahmen, mit denen ein Unternehmen sicherstellt, dass die Vorgaben der Finanzverwaltung eingehalten werden. Das ist einfacher gesagt als getan. An vielen Stellen des Unternehmens finden Tätigkeiten statt, die mittelbar oder unmittelbar Einfluss auf die Steuerveranlagung haben. Von A wie Abschreibungen bis Z wie Zahlungsverkehr. Dazu gehören unter anderem:

Prozesse

Steuerrelevante Vorgänge sollen standardisiert und in einer Weise implementiert sein, die die Einhaltung der einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften gewährleistet.

Verantwortlichkeiten

Die Zuständigkeiten für alle steuerrelevanten Tätigkeiten und Vorgänge müssen klar geregelt sein. Und die beteiligten Mitarbeiter sollten genau wissen, was sie zu tun haben. In diesem Zusammenhang ist es praktisch, wenn Sie eine Software verwenden, in der Verantwortlichkeiten festgeschrieben werden können und die Zuständigkeit nach Erledigung eines Prozess-Schrittes automatisch an den nächsten Bearbeiter in der Kette weitergegeben wird.

Zum Beispiel bei der Bearbeitung von Eingangsrechnungen: Hier existiert eine Software, die eine Rechnung automatisch den zuständigen Personen für die Prüfung, Freigabe und Buchung übermittelt und alle Schritte am Beleg dokumentiert.

Umsetzung

Papier ist bekanntlich geduldig. Wichtig ist, dass die beschlossenen Maßnahmen auch in der Praxis umgesetzt werden. Das bedeutet, dass eine geeignete Software verwendet wird und dass die betroffenen Mitarbeiter über ihre Pflichten und Abläufe genau informiert werden. Ein Steuercontrolling sollte etabliert werden, um zu gewährleisten, dass die Richtlinien minutiös eingehalten werden.

Termine

Die steuerrelevanten Vorgänge haben natürlich auch eine zeitliche Dimension. Will sagen: Das Finanzamt wartet nicht gerne auf sein Geld. Deshalb verwendet es so häufig Begriffe wie „unverzüglich“. Also gehören auch zeitliche Vorgaben in ein Tax Compliance-System.

Dokumentation

Richtlinien, Maßnahmen und Umsetzung müssen dokumentiert werden. Dies kann auf mehreren Ebenen geschehen. Das Unternehmen kann das gewollte Vorgehen in einer Richtlinie festschreiben. Diese ist eine Handreichung und Anleitung für die betroffenen Mitarbeiter. Gleichzeitig sollte eine Software verwendet werden, die alle relevanten Arbeitsschritte zusammenhängend und manipulationssicher dokumentiert.

Die nach GoBD vorgeschriebene Verfahrensdokumentation ist ein guter Ausgangspunkt für die Dokumentation der Tax Compliance. Manche Software-Lösungen für Abrechnung und Finanzbuchhaltung schreiben die Verfahrensdokumentation automatisch im Hintergrund mit. Bei einer eventuellen Prüfung kann das Finanzamt Vorgänge und beteiligte Personen nachvollziehen.

Laufende Pflege und Weiterentwicklung des Systems

Steuerliche Vorschriften können sich ebenso ändern wie die Gegebenheiten im Betrieb. Daher ist das Tax Compliance-System ein „lebendes“ Dokument. Es sollte in festen Abständen fortgeschrieben werden.

Fazit

Ein Tax Compliance (Management)-System ist ein Maßnahmenbündel, das die Einhaltung aller steuerrechtlichen Vorschriften gewährleisten soll. Ein solches System einzurichten ist nicht verpflichtend, aber für Unternehmen sehr nützlich. Denn dann kann das Finanzamt keinen Vorsatz und keine Fahrlässigkeit mehr unterstellen, wenn bei der Abgabe von Steuererklärungen Fehler unterlaufen.

Die (verpflichtende!) Verfahrensdokumentation nach GoBD ist bereits ein großer Schritt in Richtung Tax Compliance. Sie kann als Grundlage dienen, um steuerrelevante Prozesse rechtssicher zu beschreiben und zu implementieren.

Fortschrittliche Software-Lösungen schreiben die Verfahrensdokumentation selbsttätig im Hintergrund. Ja mehr noch: Sie ermöglichen es, Prozesse inklusive aller Aktionen und Zuständigkeiten in der Software zu hinterlegen und ihre Einhaltung zu überwachen. Auf diese Weise sind Unternehmer gegenüber dem Finanzamt auf der sicheren Seite.

Hinweis

Wie bei allen steuerlichen Themen gilt: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Steuerberater. Dieser ist zur steuerlichen Beratung berechtigt, wir sind es nicht. Die obigen Ausführungen sind aus Gründen der Verständlichkeit pointiert und vereinfacht dargestellt und beinhalten keine Steuer- oder Rechtsberatung.

Weiterführende Literatur

Anwendungserlass zu § 153 AO des BMF vom 23. Mai 2016

Kromer/Pumpler/Henschel, Beurteilung der Effektivität eines Tax-Compliance-Systems Teil 1

Kromer/Pumpler/Henschel, Beurteilung der Effektivität eines Tax-Compliance-Systems Teil 2 (siehe hier insbesondere den Abschnitt IKS für Erfüllung von Steuererklärungspflichten“)

Rödl & Partner: Tax Compliance Management System

KPMG: Tax Compliance Management-System

Stefan Groß / PSP München: Tax Compliance wird Pflicht – BMR veröffentlicht Anwendungserlass zu § 153 AO (Trotz des Titels ein sehr guter Beitrag)

Autor:in Dorothea Heymann-Reder
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